User-Story: die Nutzung aus Anwendersicht

User-Storys sind tatsächlich Geschichten. Sie erzählen, wie eine Persona eine Aufgabe löst:

  1. Exposition/Ausgangssituation
  2. Geschehen/Nutzung von Webseite oder Software
  3. Happy End.

Bevor der Use-Case „Ein Besucher bewertet Produkte anhand einer Fünf-Sterne-Skala und gibt eine Textbewertung dazu ab“ an die Entwickler gegeben wird, werden sowohl die Personas als auch die User-Storys erstellt. Ansonsten wird jeder Entwickler sich in den unspezifizierten Akteur hineinversetzen und von seinen persönlichen Erfahrungen des Bewertung-Abgebens Rückschlüsse auf den Anwendungsfall ziehen. Richtet sich die Webseite jedoch vorwiegend an Damen gehobenen Alters, die eine solche Webseite gemeinsam im Freundeskreis nutzen (weil die Webseite als virtuelles Pendant zu Tupper-Partys konzipiert ist), dann ist der Entwickler komplett auf dem Holzweg.

Lange User-Storys

Personas und User-Storys helfen ihm dagegen, sich auf die tatsächlich anvisierte Zielgruppe und die beabsichtigte Nutzung einzulassen und den Perspektivwechsel vorzunehmen. Die User-Story würde in dem Fall möglicherweise lauten: „Hedwig trifft sich einmal im Monat mit ihren Freundinnen Klara, Berta und Herlinde, um gemeinsam das Sortiment an neuen Produkten zu begutachten. Dabei schauen sie sich Produktbilder an, lesen die Texte dazu und betrachten zu einigen Produkten kurze Filme, die die Nutzung vorstellen. Anschließend bewerten sie, ob ihnen die Produkte gefallen. Am Ende des Jahres wählen sie aus allen Produkten, die ihnen gefallen, acht aus und erhalten diese zum halben Preis.“ (Im Idealfall wäre die User-Story durchaus etwas länger.)

Diese User-Story und die zuvor erarbeiteten Personas beschreiben einen ganz anderen Nutzungskontext, als der konkrete Anwendungsfall der Bewertungsabgabe vermuten ließ. Aufgrund der Zielgruppe müssen Text und Bilder größer und kontrastreicher als sonst ausfallen, die Bedienung kann nicht auf dem Entdeckerdrang aufbauen und stellt besondere Anforderungen an Einfachheit, Vertrauen und Fehlertoleranz. Anhand der User-Story wissen alle Projektbeteiligten, in welchem Kontext die Webseite eingesetzt wird, was deren Ziel ist, welche Erwartungen die Nutzer haben und können funktionale, gestalterische und technische Anforderungen daraus ableiten.

Durch die User-Storys werden die künftigen Nutzer vor dem geistigen Auge lebendig, und oft entstehen daraus Use-Cases und Anwendungsfälle, die in einer formalen Notation nicht bewusst geworden wären. Denn die imaginierten Nutzer machen Fehler, dehnen möglicherweise die Nutzung über die vorgesehenen Grenzen hinaus oder schaffen ganz andere Nutzungen. In einer Mischung aus Brainstorming und Rollenspiel können sich die Projektbeteiligten anhand der Personas und User-Storys Erweiterungen der Ausgangsidee erarbeiten und so künftige Use-Cases und Anwendungsfälle frühzeitig berücksichtigen. Die Vorstellungskraft belebt die Personas, erkennt deren Agieren und Wünsche („An dieser Stelle würde ich auch gern …“, „Ich hätte erwartet, dass …“ oder „Die Webseite will das und das, aber mich interessiert erst mal viel mehr dies oder jenes.“), und diese finden so Eingang in die Webseite oder Software.

User-Story erstellen

Für solche User-Storys eignen sich alle stilistischen Mittel, derer sich die Literatur und textproduzierenden Gewerke bedienen. Ein Roman soll dabei nicht herauskommen, aber die entstehenden kurzen Geschichten dürfen durchaus angenehm zu lesen sein. Illustrationen, Skizzen lockern auf, und Comics oder Foto-Romane veranschaulichen besondere Aspekte. Der Aufwand lohnt sich. Je konkreter ein Projekt geplant und letztlich umgesetzt wird, desto weiter entfernt es sich von der Ausgangsidee. Daher helfen gerade bei großen Projekten visuelle Darstellungen, sich rasch wieder in die ursprüngliche Persona oder User-Story hineinzuversetzen und diese nicht aus dem Blick zu verlieren.

Besonders wichtige Bereiche der Webseite oder Software werden bereits frühzeitig identifiziert und können als Szenarien beschrieben, in Story-Boards skizziert oder mittels grober Prototypen veranschaulicht werden. Je erklärungsbedürftiger oder kritischer bestimmte Nutzungssituationen oder Bedienweisen sind, desto nützlicher sind solche Mittel.

Natürlich werden die Szenarien, Story-Boards und Prototypen im Verlauf der Planung mehrfach angepasst, aktualisiert und überarbeitet. Je weiter die Vorarbeiten voranschreiten, desto konkreter werden sie ausgearbeitet. Bei großen Projekten werden häufig auch Glossare angelegt, in denen die verwendeten Begriffe definiert sind. Das beinhaltet sowohl die Begriffe der Nutzerschnittstelle als auch benötigte Fachbegriffe und andere Konzepte und Bereiche.

Kurze User-Storys

Ist der Rahmen einer Anwendung spezifiziert (durch eine lange User-Story) können neue und ergänzende Features in kurzen User-Storys erfasst werden. Diese haben drei Bestandteile:

  • Rolle: Kunde, Nutzer, Mitarbeiter, Redakteur, etc.
  • Aktion: Was will die Person tun?
  • Ziel: Was will die Person erreichen?

Ist der Kontext klar, dann kann die obige lange User-Story in Kurz auch so lauten: „Als Nutzer möchte ich Produkte bewerten, um anderen die Entscheidung zu erleichtern, und am Ende des Jahres Produkte für mich auswählen zu können.“ Formal folgt eine solche User-Story dem Aufbau „Als X möchte ich Y, um Z.“ Solche Art von User-Storys sind im agilen Umfeld verbreitet. Die Grenzen zum Use-Case sind hier fließend.

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